Dez 102012
 

Wer den richtigen Job hat, empfindet keinen Stress. Wer in der richtigen Beziehung lebt, hat keinen Streit. Wer die richtige Einstellung zum Geld hat, der schwimmt darin. Wer im Leben den richtigen Weg eingeschlagen hat, bei dem fügt sich alles wie von Zauberhand. Glauben Sie das?
Ganze Buchregale an Lebenshilfeliteratur und ganze Heerscharen von Trainern und Rednern blasen in dieses Horn. Hätten sie mit ihren Tipps alle recht, dann würde das im Umkehrschluss bedeuten: All diejenigen, die sich mit den Hürden und Hindernissen des Lebens herumquälen, sind einfach noch auf dem Holzweg. Und müssen so schnell wie möglich ihr Leben ändern: Love it, change it or leave it – liebe es, ändere es, oder hör auf damit … So oder so ähnlich lauten die Lösungsstrategien im Kern mehr oder weniger alle.
Ich persönlich sehe das Leben anders. Ich glaube, wir brauchen die Quälerei. Und zwar dringend.
Es ist wie bei einen Schmetterling beim Schlüpfen: Der bereits v…oll entwickelte, aber noch in seiner Puppe gefangene Falter kämpft sich über viele Minuten hinweg Millimeter für Millimeter durch das scheinbar viel zu enge Loch im Kokon. Wenn der Schmetterling schon halb herausschaut, scheint er steckenzubleiben. Nichts geht mehr vorwärts. Das Tier pumpt und drückt, aber es kommt nicht mehr weiter heraus.
Wenn ein Mensch sich diese Quälerei anschaut, hält er es früher oder später einfach nicht mehr aus. Jeder vernünftige Mensch will aufgrund seiner menschlichen Regungen dieser armseligen Kreatur helfen. Was liegt näher, als eine Nagelschere zu nehmen und vorsichtig den Kokon aufzuschneiden? Und siehe da! Es funktioniert: Jawohl, der Schmetterling rutscht sofort heraus. Aber der stolze Retter würde schnell bemerken, was er angerichtet hat: Der Schmetterling ist zwar frei, aber er ist verkrüppelt und hat zerknitterte Flügel, ist flugunfähig und darum zum baldigen Tode verurteilt.
Denn das Drücken und Schieben ist nicht umsonst, sondern hat einen Sinn. Indem das Insekt sich quält, wird Flüssigkeit durch den schmalen Ring des Kokons in die Flügel gepumpt. Die Voraussetzung, damit diese sich entfalten können. Wer diesen Prozess unterbindet, greift in den natürlichen Ablauf von Schmerz, Krise, Durchbruch und Erfolg ein.
Hindernisse, Hürden und Quälerei haben für mich also eine ganz andere als die landläufige Bedeutung. Ich glaube nicht, dass sie immer ein Zeichen des Misserfolgs sind. Sondern oftmals eher ein Zeichen dafür, dass der Erfolg naht – wenn wir den Schmerz, das Leid, die Qual nur aushalten. Das Ringen und Winden ist manchmal genau das, was wir brauchen, um hinterher zu unserer ganzen Größe aufzusteigen.
Oder: Wenn wir durch unser Leben ganz ohne Hindernisse gehen dürften, wären wir vermutlich alle fett, faul, unfähig und unglücklich. Denn wachsen können wir nur an Widerständen.

 Posted by at 14:21

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